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Digitale Herausforderungen für die Automobilbranche – Ein Überblick

  • Autorenbild: Thorsten Schulz
    Thorsten Schulz
  • 3. Juli
  • 7 Min. Lesezeit
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Als Experte für Digitalisierung in der Automobilbranche erlebe ich tagtäglich, wie Unternehmen versuchen, mit immer komplexeren Herausforderungen Schritt zu halten und wie schwer es oft fällt, den digitalen Wandel zu bewältigen. Die Automobilindustrie befindet sich in einem grundlegenden Wandel – technologisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich.

In diesem Beitrag möchte ich zentrale Herausforderungen skizzieren, mit denen Original Equipment Manufacturers (OEMs) konfrontiert sind, und anhand meiner Erfahrung aufzeigen, wo entscheidende Stellschrauben für eine erfolgreiche digitale Transformation liegen. Ich habe Spaß an der Suche nach Lösungen für diese Herausforderungen und beginne hiermit eine Serie von Beiträgen darüber.


Überblick:

  1. Kunden und Markt wandeln sich

  2. Globale Herausforderungen

  3. Systemarchitekturen zwischen Altlasten und digitaler Zukunft

  4. Technologie & Workforce als zentrale Komponenten der Digitalisierung

  5. Fazit und Ausblick



1. Kunden und Markt wandeln sich


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Individuelle Kundenbedürfnisse erhöhen die Komplexität

Seit Jahren ist ein dieser Trend zu beobachten: Lot-Size-One - Maximale Individualisierung.

Der klassische Fahrzeugverkauf entwickelt sich zunehmend zum Angebot von flexiblen, individuell gestalteten Mobilitätslösungen. Kunden erwarten nicht nur hochwertige Fahrzeuge, sondern maßgeschneiderte Nutzererlebnisse – online wie offline. Diese Nachfrage führt zu einer signifikanten Steigerung der Produktvarianten, die OEMs anbieten müssen. Dies hat direkte Auswirkungen auf Entwicklungszyklen, Fertigungsprozesse und Datenmanagement. Datenmanagement ist hier das wichtigste Stichwort und die Basis für Prozessinnovationen. Jeder SAP-Berater weiß, was Enduser nicht hören wollen: Saubere Stammdaten und entsprechender Pflegeaufwand lohnt sich immer(!), denn nur mit sauberen Daten können flexible, robuste und innovative Prozesse funktionieren.


Elektromobilität als neue Norm

Sicher nichts neues, aber nach wie vor aktuell! Elektrifizierung nimmt zu – nicht nur durch politische Rahmenbedingungen, sondern auch durch das wachsende Umweltbewusstsein der Verbraucher. In Deutschland wurden im Jahr 2025 bis Juni bereits ca. 200.000 EVs neu zugelassen. Dies entspricht einem Anstieg von über 40% gegenüber dem (zugegebenermaßen schwachen) Vorjahr. OEMs müssen ihre Architekturen, Plattformen und Infrastruktur neu denken, um den Umstieg auf EVs effizient und skalierbar zu gestalten. Die Integration von Software-Updates over-the-air, Ladeinfrastruktur und Energiemanagement wird dabei zunehmend zu einem Differenzierungsmerkmal.


Autonomes Fahren – Ein Systemwechsel

Das autonome Fahren ist mehr als eine technologische Spielerei. Es transformiert das Fahrzeug zum rollenden Rechenzentrum und den OEM zum Anbieter sicherheitskritischer Softwarelösungen. Sensorfusion, KI-basierte Entscheidungsmodelle und regulatorische Zertifizierungen müssen dabei in einem hochdynamischen Umfeld miteinander verzahnt werden – eine Aufgabe, die weit über klassische Fahrzeugentwicklung hinausgeht. Was in Amerika schon länger läuft (z.B. Waymo) startet in Deutschland gerade erst mit Pilotprojekten wie z.B. KIRA oder bald auch ID Buzz AD (VW/MOIA). Es bleibt hier weiterhin spannend.



2. Globale Herausforderungen


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Globale Krisen, Kriege und Handelsspannungen

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass geopolitische Krisen wie der Ukrainekrieg, Spannungen zwischen China und den USA oder regionale Handelskonflikte enorme Auswirkungen auf Lieferketten haben. Zusätzlich erschweren protektionistische Maßnahmen wie Zölle oder Exportbeschränkungen die Planungssicherheit. OEMs müssen lernen, über Redundanz, Diversifikation und digitale Transparenz die nötige Resilienz in ihre globalen Wertschöpfungsnetzwerke einzubauen. Integrierte ERP-Systemlandschaften mit einfachem Zugriff auf Realtime-Daten erleichtern Top-Entscheidern das Leben mit erhöhter Reaktionsgeschwindigkeit.


Lieferketten müssen digital vernetzt und robust sein

Digitale Ökosysteme, wie etwa Catena-X, zeigen exemplarisch, wie sich Transparenz entlang der Lieferkette durch standardisierte Datenräume und Kollaborationsplattformen herstellen lässt. Solche Lösungen bieten einen vielversprechenden Ansatz – entscheidend ist jedoch die praktische Integration in bestehende Systeme und Prozesse. Der Weg von der Vision zur produktiven Umsetzung ist noch lang und erfordert ein tiefes Verständnis für die Verflechtung von IT und operativer Realität. Hier existiert immenses Potential für die Kollaboration zwischen OEMs und Lieferanten. Unterschiedliche Plattformen unterschiedlicher Konzerne mit unterschiedlichen Datenstrukturen und Integrationstechnologien erschweren weiterhin Nachverfolgbarkeit und Zusammenarbeit, z.B. bei Fehleranalysen.


Disruption durch neue Marktteilnehmer

Neben den klassischen Risiken treten neue Player auf den Plan: Softwareorientierte Start-ups und Tech-Konzerne agieren mit hoher Geschwindigkeit, datengetriebenen Geschäftsmodellen und einem ganzheitlichen Kundenverständnis. Ein Auto zu bauen ist heutzutage kein Hexenwerk mehr und Aufstrebende Marken wie Zeekr oder SERES bringen alteingesessene Unternehmen in Bedrängnis. Insbesondere in China, einem der wichtigsten Absatzmärkte. OEMs müssen darauf reagieren, indem sie ihre Innovationsfähigkeit intern neu organisieren – etwa durch agile Teams, digitale Plattformansätze und die Integration externer Innovationsquellen.



3. Systemarchitekturen zwischen Altlasten und digitaler Zukunft


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Legacy-Systeme als Innovationsbremse

Viele OEMs arbeiten noch mit IT-Landschaften, die über Jahrzehnte hinweg gewachsen sind. Diese sind meist stabil, aber auch schwerfällig. Die Weiterentwicklung dieser Systeme bindet erhebliche Ressourcen und steht häufig im Widerspruch zur notwendigen Agilität moderner digitaler Geschäftsmodelle. Die eigentliche Herausforderung ist nicht nur technologisch, sondern auch kulturell: Altsysteme stehen oft symbolisch für veraltete Denkweisen. Bei der Ablöse treten jedoch immer wieder einige Schwierigkeiten auf, wie z.B.:

  1. Hohe Integration mit den Kernprozessen des Unternehmens - Hohes Risiko für Produktionsstillstände und Folgefehler

  2. Erfahrene Anwender weigern sich, das alte System aufzugeben

  3. Fehlende Dokumentation und technisches Know-How für Programme, die nicht mehr Zeitgemäß sind.

Nicht alle Errungenschaften der Vergangenheit sind schlecht, aber Software ist heute nicht mehr dasselbe wie vor 20, 30 oder sogar nur 10 Jahren. Oft ist ein radikaler Wandel erforderlich, der nur mit Rückendeckung des Top-Managements erreicht werden kann.


Durchgängige digitale Integration

Die Wertschöpfungskette vom Lieferanten über die Produktion bis zum Endkunden erfordert eine durchgängig vernetzte Systemlandschaft. Die Harmonisierung und Integration dieser Systeme ist kein reines IT-Projekt, sondern eine strategische Notwendigkeit. Hier entscheiden Datenqualität, Standardisierung und Echtzeitfähigkeit über Wettbewerbsfähigkeit. SAP hat über die letzten 30 Jahre einen zentralistischen Ansatz verfolgt, was zu vielen Z-Entwicklungen und komplexen Systemen führte. Die seit einigen Jahre neue Strategie und damit verbundene Ablösung durch eine Architektur mit einem sauberen Kern und organisiert verbundenen externen Applikation, stellt so manches Unternehmen vor große Herausforderungen. Durch eine nicht sauber geführte "Clean-Core-Strategie" werden hier immense Potentiale regelmäßig verschenkt.


Cloud-Technologien als Enabler

Eigentlich ein Unterpunkt, der oben bereits beschrieben ist. Aber ich kann auf das Buzzword "Cloud" einfach nicht verzichten, denn:

Cloud-Infrastrukturen sind der Schlüssel zu Skalierbarkeit, Innovationsgeschwindigkeit und globaler Datenverfügbarkeit. Sie ermöglichen agile Entwicklungsumgebungen, verkürzte Time-to-Market-Zyklen und neue Services. Die Herausforderung liegt jedoch in der Transformation – denn der Umstieg auf Cloud ist nicht nur ein Technologieprojekt, sondern erfordert auch neue Governance-Modelle, Partnerschaften und Sicherheitskonzepte.


Cybersecurity als Unternehmensaufgabe

Mit wachsender Digitalisierung steigt die Angriffsfläche für Cyberattacken dramatisch. Sicherheitsstrategien müssen daher proaktiv, systematisch und ganzheitlich gedacht werden. OEMs stehen in der Pflicht, nicht nur ihre IT-Systeme, sondern auch ihre Fahrzeuge, Produktionsnetzwerke und Kundendaten umfassend zu schützen. Cybersecurity wird damit zur integralen Aufgabe der Unternehmensführung – und zur vertrauensbildenden Maßnahme gegenüber Partnern und Kunden. Ich weiß nur zu gut aus erster Hand wie nervig dies sein kann (verpflichtende Schulungen, Phishing tests, etc), aber der Schutz von digitalen Daten ist nicht zu unterschätzen. An dieser Stelle sei aber auch vermerkt: Cybersecurity ist immer auch das Thema "Mensch", denn Social Engineering ist nach wie vor eines der größten Risiken für Unternehmen und deren IT-Systeme.



4. Technologie & Workforce als zentrale Komponenten der Digitalisierung


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Automatisierung und Smart Manufacturing

Die Digitalisierung der Produktion, von Robotik über digitale Zwillinge bis hin zu KI-gestützter Fehleranalyse, ist ein zentraler Hebel für Effizienz, Qualität und Nachhaltigkeit. Doch auch hier gilt: Technologie allein reicht nicht. Nur wenn diese Systeme intelligent orchestriert, mit realen Daten gespeist und strategisch ausgerichtet sind, entsteht echter Mehrwert.

Die Vision von "Lights-out-Factories" mag langfristig inspirieren, doch der entscheidende Erfolgsfaktor liegt in der smarten Verbindung von Mensch, Maschine und Daten. Produktionsmitarbeiter benötigen neue Skills, um mit digitalisierten Systemen sicher und effizient umzugehen. Gleichzeitig muss die IT lernen, physische Produktionsprozesse zu verstehen. Manchmal fühle ich mich eher als Übersetzer zwischen diesen beiden Ebenen denn als Berater. Aber es ist wichtig, die gleiche Sprache zu sprechen!


AR/VR als Brücke zwischen Mensch und Maschine

Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) gewinnen an Bedeutung – ob zur Unterstützung von Wartung, im Training neuer Mitarbeitender oder zur Visualisierung komplexer Produkte im Entwicklungsprozess. Diese Technologien stärken nicht nur die Effizienz, sondern erhöhen auch die Mitarbeiterzufriedenheit durch intuitive Bedienbarkeit und verständlichere Abläufe. Ja, das ist nicht mehr der neueste und heißeste Trend und sicher kein Game Changer im Vergleich zu AI. Ich finde es aber cool und wollte es daher erwähnen.


KI als strategisches Werkzeug - sorry, ich meine natürlich AI!

Künstliche Intelligenz entfaltet ihr volles Potenzial dort, wo große Datenmengen vorhanden sind – etwa bei der Qualitätskontrolle, der Prozessoptimierung oder der Predictive Maintenance. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer klaren strategischen Verankerung der AI-Initiativen und einer durchdachten Datenstrategie. Ohne vertrauenswürdige, saubere und zugängliche Daten bleibt jede AI-Initiative bloße Theorie (Hier sei nochmal auf Abschnitt 1 verwiesen - saubere Daten sind das A und O). Nicht nur saubere Daten, sondern auch ein klarer Use-Case ist notwendig, um das Potential auszuschöpfen. Jeder Software-Marketing-Experte wirft mit dem Begriff "AI" um sich, der erwartete Produktivitäts-Booster bleibt in der Realität jedoch oft aus, weil viele Menschen noch nicht wissen, wie sie diese fancy neue Spielerei am besten nutzen.


Fachkräftemangel als strukturelle Herausforderung

Die Digitalisierung (der Automobilbranche) scheitert derzeit nicht an der Technologie, sondern an der Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte. Data Scientist, Cloud Engineer, OT-Security-Spezialist, Legacy Elimination Engineer, Digital Synergy Overlord, Predictive Analytics Prophet, Dark Web Intelligence Ninja oder Digital Downtime Therapist sind nur einige der heiß begehrten Spezialisten und die Nachfrage übersteigt das Angebot deutlich. OEMs müssen deshalb aktiv in Umschulung, interne Weiterentwicklung und Partnerschaften mit Bildungseinrichtungen investieren. Gleichzeitig gilt es, als attraktiver Arbeitgeber im digitalen Umfeld sichtbar zu werden – mit modernen Arbeitsmodellen, klaren Entwicklungspfaden und einer innovationsfreundlichen Unternehmenskultur. Anmerkung: Zusätzlich Fehlen auch Fachkräfte zur Unterhaltung alter Systeme (siehe auch Abschnitt 3), daher ist Veränderung nicht nur wünschenswert, sondern auf jeden Fall notwendig.




Fazit: Daten, Denkweise, Durchhaltevermögen und der digitale Wandel

Die digitale Transformation in der Automobilbranche ist kein einzelnes IT-Projekt mit klarer Deadline, sondern ein tiefgreifender Wandel, der Technik, Prozesse und Denkweisen gleichermaßen betrifft.

Ob Kundenanforderungen, neue Wettbewerber, fragile Lieferketten oder veraltete IT-Systeme – die Herausforderungen sind groß. Aber genau darin liegen auch echte Chancen: für mehr Flexibilität, neue Geschäftsmodelle und bessere Kundenerlebnisse.

Voraussetzung dafür sind saubere Daten, ein klarer Fokus und der Wille, Dinge neu zu denken – auch wenn es unbequem wird. Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Sie ist das Werkzeug, mit dem wir Mobilität neu gestalten können. Schritt für Schritt, mit gesundem Menschenverstand und einer Portion Neugier.


Ausblick: Weitere Einblicke folgen


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In den kommenden Beiträgen werde ich ausgewählte Aspekte der digitalen Transformation in der Automobilindustrie vertiefen. Im Fokus stehen dabei praxisrelevante Fragestellungen aus den folgenden Anwendungsbereichen (zumindest ist das aktuell meine Idee. Wenn mir etwas anderes Spannendes einfällt, wird es dazwischen geschoben. Ich bin schließlich agil und flexibel):


  • Produktionsprozesse und digitale Fertigungssysteme

    Analyse konkreter Anwendungsfälle zur Automatisierung, Vernetzung und Optimierung der Produktion – mit Blick auf Effizienz, Skalierbarkeit und Umsetzung in Bestandsstrukturen.

  • Digitalisierung im Qualitätsmanagement

    Möglichkeiten und Grenzen datenbasierter Qualität: von der Integration neuer Technologien bis hin zu systemübergreifenden Fehleranalysen und KI(=AI!!)-gestützter Entscheidungsunterstützung.

  • Systemarchitekturen und Implementierungsprojekte

    Erfahrungsbasierte Perspektiven auf die Einführung moderner IT-Lösungen, den Umgang mit Legacy-Systemen, Cloud-Konzepte und deren Umsetzung

 
 
 

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